Montag, 27. Oktober 2014

Gesellschaftsfanatiker

Hallo, meine lieben Krümelmonster,
 
inspiriert durch einen anderen Blogeintrag, erzähle ich Euch beiden mal etwas persönliches. Vermute mal, dass es für Euch zwei nichts Neues ist, da ihr Kinder so viel spürt und vieles einfach hinnimmt.
 
In meiner Kindheit war ich oft draußen spielen. Wir lebten in einem kleinen Dorf, der Wald und die weiten Wiesen und Äcker ganz nah. Ideal für lange Streifzüge und genug Holz, um geheime Lager zu bauen. Niemand störte oder maßregelte uns, wir müssten nur zu den vereinbarten Uhrzeiten zu Hause sein.
 
Gut, Ärger gab es schon mal. Die Cousine eines Mädels aus unserer Truppe hatte eine Schachtel Zigaretten besorgt. Sie war schon etwas älter und wir etwas neugierig. Also haben wir uns in die riesigen Betonröhren am Sportplatz verkrochen und gepafft.
 
Wochen später, ich dachte schon gar nicht mehr an unser Experiment, kam mein Vater von der Arbeit nach Hause und ging sofort mit uns ins Gericht. Es stellte sich heraus, dass ausgerechnet diese Cousine uns verpfiffen hatte. Euer Opa hat zu der Zeit selbst geraucht, die Marke "HB" -gibt es die eigentlich noch?- und genauso wie das HB-Männchen ist er oft an die Decke gesprungen. Aber dieses Mal nicht! Wundere mich heute noch darüber. Vielleicht hatte das Glashaus, in dem er saß, einiges abgedämpft.
 
Ich war also oft draußen spielen. Aber genauso oft saß ich zu Hause. Alleine. Hab viel gelesen, hab gebastelt, gemalt, gestrickt und gehäkelt, Musik gehört und mit meinem ollen Kassettenrekorder Lieder aus dem Radio aufgenommen. Ganz in meine Welt vertieft, habe ich niemanden gebraucht. Meine Mutter musste mich immer wieder quasi aus dem Zimmer werfen. "Unternimm was mit den anderen und verkrieche dich nicht!", aber ich hatte keine Lust, denn ich hatte zu viel zu tun :-)
 
Später, mit Führerschein und noch später, mit einem eigenen Auto, wurde es nicht besser. "Beim Sockenstricken wirst du nie einen Mann kennenlernen!" hatte mir meine Schwester an den Kopf geworfen. Sie wollte unbedingt auf eine Party im Nirgendwo, weit zu fahren, und ich sollte mit, als Chauffeur und Alibi. Damals pussierte sie nämlich einen kleinen, schmächtigen Azubi-Kollegen, der sich dort mit ihr zum Tête-à-Tête treffen wollte. Und die große Schwester hatte überhaupt keinen Nerv und erlaubte sich, Nein zu sagen! Oh, war die sauer, die kleine Schwester! Ausnahmsweise bekam ich Unterstützung von unserer Mutter - sie wusste genau, was los war und konnte den kleinen Typen nicht leiden.
 
Im Beruf kam dann zwangsweise der Bruch. Das Kind, dessen mündliche Fähigkeiten begrenzt waren, wurde in den Verkaufsinnendienst geschmissen. Aber der Reihe nach.
 
Meine Passion ist das Stricken und das wollte ich so gerne auch beruflich machen. Welchen Weg ich hier einschlagen sollte, wusste ich allerdings nicht. Eins war mir klar: Nach dem Abi kommt erst eine Ausbildung und dann das Studium. Über die Informationsstellen des Arbeitsamtes fand ich die Berufe "Strickerin" und "Strickwaren Direktrice". War ich glücklich! Doch der Wind wurde mir aus meinen selbstgestrickten Segeln genommen. Zum einen gab es bei uns keinen Ausbildungsjob, zum anderen waren meine Eltern dagegen. Ihr könnt Euch vorstellen, dass besonders letzteres stark ins Gewicht fiel. Vor allem Euer Opa wollte  u n b e d i n g t, dass ich Informatik studiere. Mich verließ der Mut.
 
Ok, mit der Informatik hätte ich mich angefreundet. Es wäre zwar ein reines Mathe-Studium gewesen, aber ich hätte das hinbekommen. Die Computerwelt faszinierte mich schon immer. Aber mein Vater wollte, dass ich auch wollte. Und zum ersten Mal habe ich gegen ihn opponiert. Tja, im stillen, geheimen Inneren halt nur. In der Form, dass ich mir eine Ausbildungsstelle zur Industriekauffrau gesucht habe. Dachte, dieser Beruf ist so vielseitig, ich wusste ja nicht, was ich sonst machen sollte. Dachte, eine kaufmännische Ausbildung ist immer zu gebrauchen.
 
Gestrandet bin ich in einem kleinen, mittelständischen Unternehmen. Dort wurden jedes Jahr ein Bub und ein Mädel in Ausbildung genommen. Traditionell mussten die Jungs in die Einkaufabteilung, die Mädels in den Verkaufsinnendienst. Mit Idealismus, Zuversicht und wieder weit aufgeblähten, selbstgestrickten Segeln ging ich an meinem ersten Tag zur Arbeit - und wurde in die Telefonzentrale gesteckt. Blankes Entsetzen! Purer Horror! Ohne jetzt ins Detail zu gehen, am nächsten Tag bekam ich meine Anweisungen im Verkaufsinnendienst und nach mir musste nie wieder eine Auszubildende die ersten vier Wochen ans Telefon :-)
 
Wie das Leben so spielt, in der Vertriebsschiene bin ich geblieben. Meine Kommunikation verbesserte sich stetig, studierte statt Design schließlich Betriebswirtschaft. Ich war erfolgreich und ich merkte, dass mir auch Gesellschaft gut tun kann.
 
Dennoch ... auf einer Party mit vielen Menschen bringe ich es fertig, den ganzen Abend still an der Seite zu sitzen, die Leute zu beobachten und keinen Piep zu sagen. Menschenansammlungen überfordern mich. Oder ich erkläre es Euch so: In Menschenmengen sehe und staune ich, höre, rieche und fühle ich, die vielen Eindrücke sauge ich auf wie ein Schwamm. Mir erschlägt es schier die Sprache.
 
Gerne denke ich an meine Schlafanzug-Sonntage zurück. An solchen Tage habe ich mich regeneriert, um wieder gut gerüstet in die Welt hinauszugehen. Hab mich sortiert und aufgeräumt, hab gelesen und gestrickt, die Musik immer dabei. "Sie werden nie ein Gesellschaftsfanatiker!" hat letztens jemand zu mir gesagt. Wie Recht er hat!
 
Kommunikation ist wichtig. Miteinander zu sprechen ist lebensnotwendig. Das Schweigen aber auch.
 
Liebe Grüße!
 

1 Kommentar:

  1. Ich mag es auch lieber die Leute zu beobachten. . .. . . im MIttelpunkt zu stehen ist eher peinlich ;)))
    schöne woche carlinda

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